2. Das dreidimensionale Dilemma

Eine Art, die Kamera zu führen, ist im Zeichentrick gegenüber dem Realfilm ungemein schwieriger zu bewältigen. Jede Art von abenteuerlichen Kamerabewegungen inklusive den sogenannten Dolly-Shots (die Kamera wird mit einem Kran oder mit einer Schiene geführt), sind in Zeichentrickfilmen quasi unmöglich. Die Personen und sonstige sich bewegende Objekte sind stilisiert, d.h. vereinfacht genug, um sie so zu animieren, daß ein räumlicher Eindruck entsteht. Aber bei den Hintergründen wächst der Arbeitsaufwand so sehr, daß er keinen praktischen Wert mehr hat.

Man kann jetzt versuchen, den Hintergrund ebenfalls zu vereinfachen. Nur wirkt der plötzliche Übergang von den gewohnten, realistischen Hintergründen zu stilisierten und wieder zurück extrem störend. Ich habe bis jetzt nur eine Szene in einem Anime gesehen, in dem so etwas versucht wurde, und es ging natürlich in die Hose. Also läßt man es lieber gleich. Das gilt natürlich nur, wenn der Hintergrund selbst animiert werden soll.

Was bleibt, ist die Möglichkeit, ein einziges großes Panoramabild als Hintergrund zu zeichnen und die Kamera darüber hinwegfahren zu lassen. Die Methode ist leider nicht allzu flexibel. Ihre Hauptanwendung in Animes, das Simulieren eines kreisförmigen Kameraschwenks, in der die Kamera um eine oder mehrere Figuren herumbewegt wird, ist inzwischen schon arg zum Klischee verkommen. Viel subtiler und trotzdem effektiver kann die Technik bei Flugszenen angewendet werden, bei der der Boden oder etwas anderes eindrucksvoll "wegstürzt". Nun, in 'Die kleine Prinzessin Sara' kommen sicher nicht allzu viele Flugszenen vor, aber einmal wurde die Methode angewendet, um ein Schwindelgefühl darzustellen.

Beispiel 1: Becky Beispiel 2: Chrisfords Kutsche
In der Regel werden in der Serie ausgefallenere Kamerafahrten vermieden. Ist ein starker räumlicher Effekt geplant, übernimmt eine Figur oder ein Objekt den schwierigen Part und ist zu einem Zeitpunkt des Bewegungsablaufs näher an der Kamera dran als sonst üblich. Links ist ein Beispiel aus der Froschperspektive zu sehen. Natürlich gibt es auch einfache Zooms, aber diese sind eigentlich zu trivial, um sie noch extra anzuführen. Und eine Szene wie diese kombiniert mit einem Zoom wäre wohl im Thriller- oder Horror-Bereich besser aufgehoben.

Eine wirklich geschickte Ausnutzung der vorhandenen Möglichkeiten zeigt das rechte Beispiel. Man beachte, daß zwar eine Kamerabewegung simuliert, aber nur die Kutsche animiert wird. Mit diesem stilisierten Objekt ist der sogenannte Maskierungseffekt, das Verstecken von Details, gut durchzuführen. Die Zeitspanne, in der das Fenster undurchsichtig wird, beträgt übrigens nur einige Millisekunden. In der hinteren Hälfte der Szene wird ein Pan (die Kamera fährt in einer geraden Linie über eine Szenerie hinweg) mit einem leichten Zoom nach hinten kombiniert. Das Hintergrundbild, das in Erscheinung tritt, ist so konzipiert, daß ein solcher Zoom verstärkt wird. Am Anfang sind am oberen Bildrand nur die Stufen der Treppe zu erkennen. Erst dann rückt der Fluchtpunkt ins Bild. Das ist in diesem Fall der Punkt, an dem der rote Teppich im Haus verschwindet. Da das Bild nach oben hin schneller Tiefe erzeugt als der Zoom selbst, wird der gewünschte Effekt erreicht.

Generell gilt hier noch stärker als bei einer ungewöhnlichen Kameraperspektive allein der Grundsatz, es nicht zu übertreiben und schon gar nicht so etwas einfach "nur so" einzubauen, nur weil es gut aussieht. Die beiden auf dieser Seite zitierten Szenen sind beide mit bedeuteten Ereignissen verbunden, und sind dadurch gerechtfertigt. In der ersten wird Sara zum ersten Mal in Form von Becky mit realer Armut konfrontiert, und in der zweiten wird ein wichtiger Charakter, Herr Chrisford, eingeführt.

Bisher habe ich die Beispiele nur jeweils unter einem einzelnen technischen Gesichtspunkt behandelt. Aber dadurch blieb die ganze Dynamik, die einem Film innewohnt, bisher unberücksichtigt. Was es mit dieser Dynamik auf sich hat, wird schnell deutlich, wenn es als nächstes darum geht, eine Geschichte zu erzählen.

  1. Einige Beispiele
  2. Das dreidimensionale Dilemma
  3. Eine Geschichte erzählen
  4. Teile vom Ganzen
  5. Nichts vergessen?


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Taro Rehrl (e-mail), 1998-09-20, 2002-08-17