Zweites Beispiel

Lottie wird in der Literaturvorlage als trotziges, verwöhntes kleines Kind beschrieben. Die folgende Szene, die auch im Buch so vorkommt, ist die Gelegenheit, um Lotties Charakter den Zuschauern verständlich zu machen. Ein bloßes Abspulen der Vorlage wäre zuwenig. Gleichzeitig wird aber auch die eher allgemeine Beschreibung im Buch in einzelne Handlungen aufgeschlüsselt.

Einstellung 1

Armes Frl. Amelia! Ganz gleich was sie auch versucht, Lottie will einfach nicht aufhören zu schreien. Ihre erfolglosen Bemühungen machen sie nur noch unsicherer. Daß Lottie gerade deswegen weitermacht, ahnt sie nicht.

Einstellung 2

"Vorsi..." Zu spät. Aus Trotz schreiende Kleinkinder machen nämlich noch etwas anderes außer Weinen. Diese Aktion kommt im Buch nicht vor. Wir werden gleich sehen, warum.

Einstellung 3

Aua.
Es geht darum, daß Frl. Amelia in ihrer Verzweiflung es auch mit Gewaltandrohung versucht, aber ihr das auch nicht recht ist, und so zwischen Beschwichtigungen und Strenge hin- und herschwankt. Mehr sagt das Buch nicht aus. Insbesondere darüber nicht, was im einzelnen geschieht.

Einstellung 4

Das ist der Grund, weshalb Kurokawa Frl. Amelia einen Tritt von Lottie hat verpassen lassen. Man kommt ja nicht ohne Grund auf die Idee, mit Schlägen zu drohen. Diese Gebärde hier ist aber bestimmt nicht ernst gemeint.

Einstellung 5

Trotz ist, wenn man trotzdem schreit. Aber dazu muß man sich erst etwas informieren. Wenn man genau hinsieht, fällt auf, daß Lottie ab und zu ein Auge ganz kurz öffnet um ihre Umgebung zu erkunden.

Einstellung 6

Frl. Amelias erhobene Hand kommt Lottie wie gerufen. Denn der der Vorwurf "Sie will mich schlagen!" ist ein idealer Vorwand für weiteres Gezeter. Kein Wunder, daß Frl. Amelia daraufhin wieder alle Energie verliert und niedergeschlagen zusammensinkt. Wir haben also unser Ziel erreicht.

Was war nochmal das Ziel? Es wurde sowohl Lotties Charakter beschrieben, als auch Frl. Amelias Unsicherheit, sowie ihr Unvermögen, Lottie zu beruhigen. Und zwar weder auf die eine, noch auf die andere Art. Diese beiden Motive wurden in der Szene ideal miteinander in Einklang gebracht. Und nebenbei wurde auch noch gezeigt, mit welchen Tricks trotzige Kinder mit hilflosen Eltern oder anderen Opfern so bearbeiten. Es braucht wohl nicht erst erwähnt werden, daß Gewalt hier keine Lösung ist.

Vielen Dank, daß ihr bis jetzt so tapfer durchgehalten habt. ^_^ Aber es geht noch ein bißchen weiter, obwohl man annehmen könnte, es sei schon alles gesagt. Der größte Teil ist aber geschafft. Viele Aspekte der Regie von 'Die kleine Prinzessin Sara' habe ich schon vorgestellt, und man kann sich sicher schon sehr gut in die Arbeit des Regisseurs hineinversetzen. Im folgenden möchte ich aber noch aufzeigen, wie filigran seine Arbeit in einzelnen Szenen sein kann, und welche Feinheiten dabei auftreten. Das tue ich in der nächsten Station, die den zuerst undurchsichtigen Titel "Teile vom Ganzen" trägt.

  1. Einige Beispiele
  2. Das dreidimensionale Dilemma
  3. Eine Geschichte erzählen
  4. Teile vom Ganzen
  5. Nichts vergessen?


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Taro Rehrl (e-mail), 1998-09-20, 2002-08-17